Sonntag, 2. Dezember 2007

Madrid - Therapie

Du?? In die Therapie? Meinst Du echt, dass DAS sein muss??

Warum geht man in die Therapie.
Ich meine, warum geht eine fröhliche, energische, manchmal vielleicht etwas zweiflerische und ihres Weges nicht so ganz sichere, aber mit viel Liebe und Festigkeit ausgerüstete Enddreißigerin in die Therapie.

Und warum fragen einen das die Leute ständig, mit so einem scheelen Seitenblick, so einem etwas befangenen, verlegenen Kopf-beiseite-Legen, als wäre man plötzlich nicht mehr richtig berechenbar sondern hätte über Nacht eine völlig neue, mit großem Sicherheitsabstand zu betrachtende Persönlichkeitsfacette an die Oberfläche gedrückt.

Was geschieht während einer Therapie eigentlich genau.

Eigentlich nichts, was man in eine hieb- und stichfeste Beschreibung fassen könnte. Die eigene Molekularstruktur verändert sich nicht innerhalb weniger Stunden mit dem Resultat eines allumfassenden Aha-Erlebnisses oder so. Selbst nach 25 Sitzungen verlasse ich noch immer manchmal meine - im Übrigen buddhistische - Therapeutin, um mich auf der Straße im Hamburger Pöseldorf stehend zu fragen, was wir eigentlich die letzte Stunde so gemacht haben. Und kann mir das nicht beantworten.

Dann gehe ich einen Kaffee trinken und bin's zufrieden.

Aber dieser Tage ziehe ich durch Madrid, um eine allerliebste Freundin zu besuchen, die ihr wertestes Ich Dekade für Dekade soweit durch die Weltgeschichte geschleppt hat, dass Treffen praktisch unmöglich waren. Ziehe also durch Madrid, und sitze in der Madrider Cercanía, einer Nahverkehrsbahn, und später in der Metro, der U-Bahn, mit kerzengeradem Rücken und dem Blick in der Landschaft. Um mich herum überall dunkle Köpfe, ein deutlich wahrnehmbarer Geräuschpegel, an- und abschwellendes Spanisch, ich verstehe viel. Wenn ich die Augen zumache, fühle ich die Hände auf meinem Rucksack, der liegt auf meinen Knien, den rauen Stoff zu betasten, das gefällt mir; zur selben Zeit höre ich die Bremsen der in die nächste Station einfahrenden Bahn, unter meinen Füßen vibriert der Boden. Wenn die Türen sich öffnen, kommt ein bisschen warme Luft mit rein. Die Stationen hier im Untergrund und überhaupt alle geschlossenen Räume sind extrem warm, man kann im T-Shirt rumlaufen: Die Menschen hier sind Hitze gewohnt und treten den ganz schön kalten Wintermonaten mit einem für norddeutsche Verhältnisse triebhaften Heizverhalten entgegen.

Als meine parada, mein Stop, Atocha Renfe im östlichen Herzen des zentralen Madrid, aufgerufen wird, stehe ich auf und lasse mich, Schritt für Schritt, langsam ausatmend mit der plappernden Menge auf den Bahnsteig tragen, wo ich feststelle, dass ich mich zuhause fühle. Meine Schultern sind entspannt, ich habe keine Ahnung, wo genau ich bin, aber natürlich bin ich richtig. In von Menschenhand geschaffener Umgebung, mit ein paar Euro in der Tasche für einen café con leche, einem kleinen Stadtplan in der linken Hand, den befingere ich im Uhrzeigersinn, weil er so niedlich ist. Das Handy im Rucksack, das gefällt mir auch. Safe. Ich bin sicher.

Der böse Mann. Der sitzt jetzt bei seiner Frau, die er nicht für mich verlassen wollte. In seinem schönen Haus, das ihm so ein Herzensding war, dass er sich ein anderes Zuhause nicht vorstellen konnte. Umgeben von seinen Kindern, denen er weiter ein rund um die Uhr präsenter Vater sein wird.

So ist das. Meine Füße fest in den Boden von Atocha Renfe genagelt, stelle ich fest, dass alles so, wie es ist, in diesem gegenwärtigen Moment seine Richtigkeit hat.

Das ist es, was die Therapie bewirkt.

Lernen, friedlich zu sein.
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